Donnerstag, Juni 23, 2011

Neue Länder abgehakt

Pedalieren über ruhige breite Straßen
20.6.11 Pedalieren
Der Morgen zeigte sich wieder von der besten Seite, glockenklares Himmelsblau garniert mit ein paar Fotowolken. Die Strecke, ohne den freundlichen Moldawiern nahe zu treten, und wohl auch das ganze Land bieten keine wirklichen Sehenswürdigkeiten. Es ist ein großer fruchtbarer Garten, hügelig. Die Dörfer liegen alle an einem Südhang eines der kleinen Tälchen. Meist ist ein Stausee dabei, damit die fruchtbare Erde stets bewässert werden kann. So kann man auf der verkehsarmen Hauptstraße mit drei Fahrstreifen locker pedalieren. Ich hätte viel mehr LKW-Verkehr erwartet, schließlich ist das die einzigste Verbindung in den Norden. In Balti hat mich wieder starker Regen in ein Hotel getrieben, danke.

Typische Raststätte an der Straße
21.6.11 Sich einen raufhohlen
Einen Eimer frisches Brunnenwasser ist die Essenz einer jeden Raststätte, auch in the middle of nowhere. Der Grundwasserspiegel ist nur ein paar Meter unten. Das macht zusammen mit der Schwarzerde die Fruchtbarkeit von Moldova aus. Und da es keine weiteren Sehenswürdigkeiten gibt, wird eben der Geschmackssinn angesprochen, der bekanntlich bei mir ein große Bedeutung hat. Es gibt diverse Weine. Doch wo ich an der Straße gekostet habe, waren die entsprechend dem russischen Geschmack mir zu süß. Das Obst, besonders die Kirschen, sind Spitze und eine Labung bei der heutigen Etappe nach Orhei. Denn es sticht bei leichter Brise der Planet. An der Straße gibt es einige richtige Gasthäuser, jedes Dritte hat aber meist schon den Geschäftsbetrieb eingestellt. Dort kochen die Matkas mit lustigen Kopftüchern noch richtige Hausmannskost. Bei mir gab es heute ciorba de vacute (Rindfleichsuppe) und Kiftel... moldovanesc (Fleichbällchen mit Kartoffelbrei), großartig. Und ... wichtig wegen des Dursts, es gibt auch Kwas. Zum Mittag heute sogar mal aus der Flasche.

Luxusrad und Luxusmobile vor dem "Gük Oguz"
22.6.11 Die Hauptstadt
Sobald ich in die Nähe der Hauptstadt komme, werden die wirklich gastlichen Stätten des Landes immer mondäner. Nach einigen Kaffees zum Frühstück bin ich nun in der Hauptstadt Chisinau (former Kishinjow, wie ich es bei Herrn Dr. Bruno Weese, der wohl aus der Gegend hier stammte, lernte). Und gleich, noch in der Vorstadtzone der Autowerkstätten und Baumärkte, bemerkte ich das "Gük oguz", das gagausische Küche versprach. Die Gagausen haben hier im Süden von Moldova ihre eigene autonome Republik (damit meine ich nicht Transnistrien, das sind die Russen). Nach dem Studium der Speisekarte sind die Gagausen eine Art Bulgaren mit türkischem Einschlag, das ist aber noch zu recherchieren und die Ergebnisse findet ihr in einem Kommentar unten. Vor der Tür alles große und edle Karossen, weswegen ich mich als Radler über die Aufmerksamkeit des Chefs des Hauses besonders geehrt fühlte. Und es gab auch was Feines:
Der Maitre
Für den Durst ein Tuborg (keine Bange Gert, aus der Ukraine). Als Vorspeise ein Tarator, der Bulgarienkenner genießt es kalt. Intermezzo: Salat, schön mit Dill in der Vinaigrette. Dann ist mein Bier ausgetrunken. Da ich eine Grillspezialität vom Huhn erwarte, bringt mir der Chef einen wohltemperierten Traminer. Das Filet vom Huhn als Roulade gegrillt, wird in einer Sauce mit guter Peperoni-Note getunkt, genossen. Den Abschluss bildet ein türkischer Kaffee mit einer Punschkugel. Das Foto vom Maitre dokumentiert meine vollständige Begeisterung.
Nun bin ich knapp 20 km von Transnistrien entfernt. Ein Kneiper hat mich schon vor dem sprichwörtlich einnehmenden Wesen der transnistrischen Pseudozöllner gewarnt. Aber davon morgen.
Ich schrieb schon einmal, dass die Routenführung immer sehr zwiespältig ist. Zum einen die Infrastruktur, es gibt nicht viele akzeptable Nebenstraßen und dort ist die Versorgung des ewig durstigen Radlers nicht optimal. Denn vom Brunnenwasser können ausschließlich die "lebensbejahenden Asketen" des Waldsassener Zisternsienserorden leben. Auf den Hauptstraßen sieht das schon erheblich besser aus. Doch dort plagen den lebensbejahenden Radler zum einen die lahmen alten SIL, i.d.R. überladen und die Marschrutki, diese an sich soziale Art eines Nahverkehrs. All diese Worte sind nun nur Einleitung für eine Portion Kapitalismuskritik.
Vor ein paar Stunden in Chisinau habe ich in meinem Gesichtskreis bestimmt 100 Mercedes Benz Sprinterbusse als Marschrutki taksi sehen können. Diese Dinger sind für den Radler unberechenbar, immer auf der Jagd nach zahlenden Kunden überholen die dich, um in 3 Metern wegen einer Oma vor dir wieder einzuscheren. Nun, das ist deren Existenz, aber was sich allein da für ein Markt 1990 auftat. Ich schätze, in Chisinau laufen 5000 von den Dingern. Der deutsche Produktivitätsüberschuss macht mir hier auf eine so besondere Art das Leben schwer. Es ist leicht in Deutschland über die Schulden an der Peripherie herzuziehen, wenn man es nicht schafft einen eigenen ausgewogenen Binnenmarkt zu etablieren. Offensichtlich wird der Sprinter hier erschwinglich gemacht. Wie? Mit Krediten.

In Tiraspol
23.6.11 Beim Köstritzer in Tiraspol
Heute morgen das Einreisezeremonium in das Land Transnistrien hinter mich gebracht. Es wird hier eine vergleichbare Bürokratie entwickelt, wie letztes Jahr beim Übergang in Kroczienko. Nur hier sitzt eine niedliche Tanja am Schalter und ich gebe mir von Anfang an Mühe beim Ausfüllen der immigration card. So klappt der Eintritt in den Staat, den ich in einem Tag durchradeln will, problemlos.
Am Eingang von Tiraspol lässt der Chef der Firma "Sheriff" (Geschäfte aller Art vom Supermarkt bis zum Autohaus, "Mercedes Benz"-Generalvertretung) einen Fußballkomplex hochziehen. Ich bekomme ein Führung: 43.000 Leute Arena, dazu ein zweites Stadion, eine Fußballhalle, Akademie für Kids von 7 bis 17, ein 50m-Schwimmstadion und ein 5-Sterne-Hotel, 18 Trainingsplätze. Dazu wird noch ein Aquapark kommen. Hier wird geklotzt. Mein Guide spricht vom Ziel Championsleague, wenn ich an Uriczani denke, werden sie es sicher auch mal haben. Jetzt die Meisterschaft haben sie aber vergeigt. So hat eben jeder seinen Dietmar Hopp.
"Café Eilenburg
Nun sitze ich im "Café Eilenburg" beim Koestritzer Schwarzbier. Das ist im Zentrum, direkt neben den Regierungsgebäuden, wo sich der aktuelle russische Praesident mit dem Hiesigen handschüttelt. Wenigstens Einer der Anerkennung zeugt, aber auch ich werde die fußballerische Entwicklung des FC Sheriff Tiraspol aufmerksam verfolgen und, wenn je Schalke hier mal spielt, mit dem Themarer herfahren. Auf Herrn Schneeloch werde ich gleich noch ein Warsteiner trinken. Die Biere kommen hier mit Gläsern aus dem Tiefkühlfach, bereift. Hinter mir versucht gerade ein deutscher User seine Internetbekanntschaft von der Flirtplattform in echt zu bezircen. Sie ist eine wirklich adrette Enddreißigerin, er der Prototyp (was ich so höre) des deuuuutschen Touristen. Hätte nicht geglaubt, daß es sowas in echt gibt, real comedy.

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