1.7.2016 … und sie haben es wieder versucht
Die Altstadt von Batumi sieht ganz wie Alt-Havanna
aus. Zweistöckige Häuser in allen möglichen Erhaltungsgraden, mit
Balkons entlang der ganzen Front, wo wohl besser aber immer nur eine
Person stehen sollte. Ich bin auf der Suche nach einem Fahrradladen,
um mir einen neuen Pneu für Vorne zu kaufen. Ich finde die Nadel
nicht, die immer wieder einen Platten sticht. Dann kann ich den
Küstenradweg mal probieren, und da stehen sie, die
Appartmenthochhäuser.
Leerstand nach den Gründerjahren |
Wie letztes Jahr in Melnik
und in Plowdiw wollen sie mir wieder einen Alterssitz andrehen. “New
horizons”, ein 30-Stöcker im Rohbau, wo nur das Erdgeschoss
als Verkaufsbüro genutzt wird. Am Turmdrehkran schaukelt wohl schon
seit Jahren die Gondel, die die Bauleute hochbringen soll. Knapp
19000$ kostet so ein Domizil am Rande der künftigen EU (wenn die
Türken als Ersatz für den britischen Albion dazu geholt wurden).
Übrigens behauptet Erdoğan selbst, aus
einer
aus
Batumi migrierten georgischen Familie aus Rize zu stammen.
Strandrestaurants an der "Pier of Batumi" |
Man muss über Batumi staunen, es waren wohl
richtige Gründerjahre, aber es hielt nicht lang … keines dieser
beeindruckenden Gebäude erwirtschaftet irgendeine Form von Rendite …
sie stehen leer. Selbst das goldene Riesenrad im Burj Batumi dreht
sich nicht.
Frühstart am Busbahnhof |
Am Nachmittag habe ich ein Ticket für 30 Lari
nach Zugdidi gekauft, ich soll unbedingt morgen um 7 Uhr pünktlich
am großen leeren Busbahnhof im Norden der Stadt sein.
2.7.2016 Svaneti
Es hat geklappt, ich bin in Mestia (georgisch მესტია) in Swanetien.
Der ältere Herr als Fahrer der marschrutka von Batumi nach
Zugdidi hat sofort Anschluss vermittelt für uns, einer Gruppe Russen
aus St. Petersburg und mir. Der Fahrer eines großen in Deutschland
unbekannten rechts gelenkten Toyota-Vans war Swane und erwärmte uns
für seine Heimat. Er muss wohl schon ein wenig herumgekommen sein,
Sachalin, Kussbas, Frau aus Kamtschatka. Die Russen hatten wirklich
überraschend wenig Ahnung von ihrem Reiseland, waren aber sehr nett.
Enguri-Damm. Sie soll die höchste Bogenstaumauer der Erde sein. |
Wir konnten für diverse Foto- und Handy-Videos anhalten. Zum
Beispiel an einer besonderen Engstelle des Enguri, dem Ort eines
Fiaskos für ein russisches Expeditionkorps im 18. Jhd. Hier wurden
die Russen von einer kleinen Svanen-Streitmacht aufgehalten, der
russische General stürzte sich in den Fluss. Später eroberten die
Russen Swaneti über die Pässe vom Elbrus her. Der swanetische
Fahrer kannte noch ein paar weitere tolle Geschichten. Vor den Russen
wurde die Gegend vom Osmanischen Reich beherrscht, die ja immer
Kinder für ihr Janitscharen-Heer aushoben – die „Knabenlese“.
Die Swanentürme wurden zuletzt genutzt, um die Kinder und Frauen vor
den Türken zu schützen, wenn die Männer auf den Almen arbeiteten.
Swanenkinder waren besonders teuer auf den Märkten im osmanischen
Reich, sie galten als widerstandsfähig im Vergleich zu den
Kachetiern oder Imgreliern. Solche Geschichten erzählte unser Fahrer
… und das war nur das, was ich verstanden habe.
Die berühmten Swanentürme in Mestia: In der Regel Wehrtürme der Familien, ganz rechts ein Wachturm der Gemeinschaft |
Neben mir in
einer kleinen Kneipe in Mestia hat sich eine swanetische Männerrunde
etabliert, alles Honoratioren der Stadt. Der Tamada läuft zur
Hochform auf. Nach einem sehr langen Trinkspruch hat er des Glas
Tschatscha auf unnachahmlicher Weise jongliert, ohne das ein Tropfen
verloren ging, außer in seine Kehle. Es ist der Symposiarch,
georgisch: "Tamada", ernannt und mit der bedeutsamen
Aufgabe der Tischführung betraut. Einer aus der Runde hat schon ganz
schön den Stecker drin. Der Tamada führt ihn behutsam und gut
zuredend zur Treppe, komplimentiert ihn nach Hause und kehrt zur
Tafel zurück. Das georgische Wort für "Tafel" bedeutet
auch "Altar".