Es gab einen Ruhetag nach unserem Sajan-Abenteuer. Slawa fuhr uns nach Taltsi und Lena erläuterte uns die Siedlungen der hiesigen Bevölkerungsgruppen: Ewenken, russische Kosaken und Burjaten. Ich fand es sehr interessant, von der Eroberung von Sibirien durch die russischen Kosaken zu erfahren. Wir besuchten in einem der Mehrgenerationenhöfe eine "dunkle" Banja. Das bedeutet, dass in der ganzen Horntzsche durch eine ordentliches offenes Feuer in der Banja die Temperatur hoch getrieben wird. Dann gehen die Leute rein und schwitzen sich gesund. Ein Restrisiko bleibt: Manch einer schläft für immer ein, ein bisschen Kohlenmonoxyd vom dann missglücktem Feuer ist zurückgeblieben.
Ein bisschen fürchte ich mich: Alexander Wladimirowitsch erzeugt eine respektvolle Atmosphäre zur Steppentour am Baikal. Wir kriegen unsere produkty, soll heißen Lebensmittel zugeteilt, der Rucksack wird drücken. Ich verzichte auf die Regenjacke und viel anderes unnützes ziviles Zeug.
Nach einer Fahrt über Holperstrecken setzt uns Slawa, der Fahrer, auf einer 200m hohen Klippe über dem Baikal ab. Das Lager wird aufgebaut: Wir bauen unsere Zelte auf und Alexander Wladimirowitsch den Rest. Er holt verstecktes Holz hervor, baut die Sitzecke auf, Feuer wird gemacht, er holt Pflanzen für den Tee und vieles mehr. Wir sind ganz jieprig aufs Baden im See. Nicht ganz einfach auf einer so hohen Klippe. Nach dem steilen Abstieg reißen wir uns die Klamotten vom Leibe, die Russen gucken ganz pikiert. Nach diesem Kulturschock erhalten wir Erläuterungen zum heiligen Charakter dieses Fleckchen Erde, hier gibt es neben den üblichen Russengraffitti 2000 Jahre alte Felsmalereien auf dem Marmorfelsen.
Anfangs führt der Weg am anderen Morgen noch durch lichte Taiga, aber dann nur noch Steppe. Häufig machen wir Tradition und das geht so: Alexander Wladimirowitsch fordert uns auf, ein klein bisschen Klimpergeld bereit zu halten. Ein Pfahl im Gelände zeigt die Grenzen einer Burjatensippe an. Solch ein Pfahl hat drei umlaufende Kerben, für die Geister des Himmels, der Erde und der Unterwelt. Für all diese Geister kann nun geopfert werden, Geld, geknickte Zigaretten oder mit dem Ringfinger der rechten Hand auf den Pfahl gestippten Wodka. Der Rest der Flasche gehört dann den Irdischen. Dass hier sehr viel Tradition gemacht wird, zeigen die vielen leeren Flaschen, Münzen und einige Zigaretten.
Ein Ort für viele Traditionen zu machen, ist der Hügel Jorta im Tal der Ust-Anga. Hier leben noch zwei burjatische Familien, eine sogar das ganze Jahr über. Irgendwie hoffen wir bei den paar Häuschen immer gleich auf ein magazin, ein Lädchen. Aber Alexander Wladimirowitsch macht deutlich: In 20 km Entfernung könnten wir ein Bierchen kaufen. Dieser Umweg ist aber selbst bei unserem Durst zu groß. Unser Lager steht heute im kleinen Uferwäldchen der Ust-Anga. Das Wetter verwöhnt uns, weshalb auch hier keine Gelegenheit ausgelassen wird, in den sibirischen Gewässern zu baden. Jürgen hat aus seinem Kühlschrank das Thermometer mitgebracht, wir schätzen 17°C Wassertemperatur.
Am nächsten Tag führt uns Alexander Wladimirowitsch durch die Steppe zum Plateau, wo Wünsche war werden sollen. Als magische Boten der guten Geister taucht am Horizont eine Stute mit ihrem Fohlen auf und galoppiert uns entgegen und umkreist uns neugierig, um am besten im Wind Witterung aufnehmen zu können. Wir werden als wenig interessant eingestuft und die beiden verschwinden wieder. Wir sind angekommen an unserer Lagerstelle für die nächsten drei Tage hoch über der Aja-Bucht. Das Lager wird aufgebaut: Wasja hat mit einem kleinen Transporter neue Vorräte an produkty mitgebracht. Er wird auch immer Wasser aus dem Baikal herbeiholen. Einmal bringen wir vom Baden einen Kanister voll mit, das brauchen wir aber dann nicht mehr zu schleppen, gut so, denn es geht vom Ufer einen steilen Weg gut 100 Höhenmeter hoch. Dann lädt Alexander Wladimirowitsch einen Rucksack ab: „Santa Claus!“ sind seine Worte. Nun schwant uns, was die Magie dieses Ortes ausmacht, im Rucksack sind etliche Büchsen Baltika 3 – das Bier des russischen Reiches.
Noch mehr Ausrüstung bringt Wasja von seinem oben auf dem Plateau geparkten Transporter: Helme mit Geleucht, Klettergürtel und jede Mengen Seil und Kletterhardware. Alexander Wladimirowitsch bittet zum Training: Abseilen, Klettern mit Steigleiter und Seilklemmen. Wir trainieren für die beiden Höhlentouren, in eine enge horizontale Höhle und in eine Schachthöhle. Ich baue schon mal vor und erzähle von meinem Höhlenabenteuer im Elbtal in den achtziger Jahren, mit Narbezeigen. Das kleine Einmaleins des Höhlenkletterns haben am Vormittag dann alle durch, jeder hat sich abgeseilt und ist mit der Seilklemme geklettert. Nach dem Essen steigen alle in die Höhlenkluft. Helmut sieht sehr schmuck aus als kleine runde gelbe Fledermaus in seinem Overall. Fünf Meter nach dem Höhleneingang kommt schon für mich die Schlüsselstelle, hier komme ich nicht durch. Mal wieder ist der schönste Teil der Höhle für mich nicht erreichbar.
Aber ein Höhepunkt kommt noch am nächsten Tag. Wasja und Alexander Wladimirowitsch haben am Morgen schon an der Felskante zum Baikal gebastelt und Sicherungsösen gesetzt. Wir werden uns 100 m über dem Baikal eine Felsplatte ca. 15m abseilen und dann wieder mit den Steigklemmen, wir nennen die Dinger Fiffis hochklettern. Das ist großartig und auch anstrengend. Am Nachmittag in die Schachthöhle gehe ich nicht mit hinein – ich komm’ eben auch nicht mehr runter.
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