5.7.2016 Die Töchter der Königin Tamar
Ich bin heute noch einmal Mestiachala-aufwärts
gefahren, rechts am Fluss hoch. Links geht ja der Jeep-Weg zu den
Keruldi-Seen hoch. Bald kam ich an ein Häuschen, gebaut aus zwei
Bastei-Campingwagen. Dort brach gerade eine Gruppe junger georgischer
Trekker auf, die empfahlen mir noch ein paar Kilometer hoch zu
fahren. An mehreren Furten wollte ich schon umkehren, fand aber immer
einen Pfad weiter. Und dann blickte ich in den Gletscher-Bruch des
Chalaadi.
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Unterm Gletscher-Bruch |
Noch ein paar Dutzend Metern weiter ein kleiner
Kiosk mit den Töchtern der Königen Tamar. Die
KöniginTamar (georgisch
თამარი, * 1160; † 18. Januar
1213) aus der
Bagratiden-
Dynastie war so berühmt, ob ihrer Klugheit und Schönheit, dass man den
Flugplatz in Mestia nach ihr benannte und selbst König Barbarossa
davon erfuhr und seine Söhne losschickte, um sie zu gewinnen. Die
schönen Töchter aus dem Kiosk erfrischten den alten Landsmann König
Barbarossas mit exotischen Limonaden. In der Tat machen die hier aus
Kräutern wie Estragon oder Gewürzen wie Vanille leckere Limonaden.
Der Fremde aus dem Abendland mischte das mit seinem Lieblingsgetränk,
dem Bier.
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Georgischer Grenzposten |
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Das Haus Khergiani |
Es gibt in Mestia mehrere der alten Svanenhöfe
mit Türmen, die man besuchen kann. Ein besonderer Platz ist der
Khegiani-Turm. Hier lebte einer der berühmtesten Bergsteiger der
Sowjetunion Mikheil (Misha) Khergiani (1932-1969). Einige Räume
zeigen die Geschichte des Alpinismus, inklusive der
Einholung derHakenkreuzflagge auf dem Elbrus. Im Turm sind seine alten
Klettergarnituren wie zu einer Kletterwand installiert.
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Erdgeschoss eines "Machubi" |
Der erste Raum war aber für mich am
beeindruckendsten: Es war der alte swanische Familienraum. Ein
swanisches Wohnhaus, „Machubi“ genannt, ist ein großes
zweistöckiges Gebäude. Während im Erdgeschoss die Bewohner lebten
und hier gleichzeitig der Viehbestand gehalten wurde, diente der
erste Stock alleinig zur Lagerung von Heu. Ein Thron für das
Oberhaupt, eine Bank jeweils für die Männer, die Frauen und die
Kinder. Rundherum guckten die Kühe aus ihren Ställen, sie waren ein
wichtiger Wärmespender. Das gesamte Haus wurde durch ein offenes
Feuer in der Mitte des großen Zimmers beheizt. Die ganze hölzerne
Einrichtung reich beschnitzt.
6.7.2016 Enguri abwärts
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Das Dorf Lenjeri oberhalb der Enguri-Schlucht |
Das Motto heißt: Im Prinzip geht es bergab. Aber es ist kein leichtes Pedalieren. Die ersten Kilometer verlaufen auf halber Höhe weit über dem Fluss auf den Almen immer Huckel hoch und ein Bissel mehr runter.
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Hier wird Regen gemacht |
Ich habe auch noch einen Abstecher in das Tal des Flusses Dolra nach Becho gemacht. Ich hatte Glück, der
Uschba zeigte sich in voller Pracht.
Weiter unten in der Schlucht faucht ein kerniger Gegenwind den Radler an. Während meiner Siesta stößt plötzlich ein Auto wieder zurück. Mein Fahrer von der Fahrt hoch nach Mestia begrüßt mich ganz herzlich.
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Wassermassen des Enguri |
Es sind gewaltige graue Wassermassen, die durch die Schlucht ins Tal schießen, dem Stausee des großen Enguri-Wasserkraftwerks aus der Zeit der Sowjetmacht entgegen. Ich habe jetzt eine ganze Bande von Töchtern der Königin Tamar nach einem Zimmer gefragt, es wird bereitet.
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Stausee des Enguri-Damms |
7.7.2016 Police on my neck
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Unten liegt das sagenhafte Land der Kolchis |
Die großartige Enguri-Schlucht liegt hinter mir.
Mein Plan war über kleinere Straßen Zugdidi rechts liegen zu lassen
und durch die hüglige Landschaft vor dem Kaukasus zu fahren. Ich
hoffte, nicht durch die subtropische Kolchis-Niederung mit der großen
Hitze zu müssen. Das ist hier das Grenzgebiet zum abtrünnigen
Abchasien, es gab einen Krieg in den Neunzigern und wohl auch 2008
einige Scharmützel. Als ich in Lia links abbiegen wollte, hupte und
rief es aus dem Polizei-Posten. Ich bezog es nicht auf mich, sondern
ich kehrte erst einmal in eine kleine Garküche ein.
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Meine Kneipe in Lia - zum Bier nimmt man hier gern einen Bissen vom Dörrfisch |
Dann bog ich wieder in den Weg nach Zalendschicha
(georgisch წალენჯიხა) ein. Da hielt mich ein
HiLux-Toyota der Gendarmerie an. Woher ich käme, wohin ich will?
Nachdem ich meinen Plan offengelegt hatte, boten sie mir sofort an
mein Rad auf die Ladefläche zu packen, dort, wo der IS immer die
23mm-Kanone hat. “Nein, ich habe keine Problem! Ich will radeln.”
Die Steigung gleich hinter dem Dorf wurde durch ein Schild mit 12%
angegeben. Ich schob mit vielen Pausen, der HiLux im Schritt hinter
mir her. Ein Bäuerchen beriet mich fürsorglich, ich soll viel
Wasser trinken, er wünschte mir guten Weg und bekreuzigte sich
dreimal. Die Bullen warteten im Schatten. So ging das über fünf
Kilometer, dann wurde ich einer anderen Crew übergeben, die schon
gewartet zu haben schien. In Zalendschicha
musste ich meine Pläne neu ordnen, es schien bei der Hitze doch
keine so gute Idee zu sein, wieder hoch an den Rand des Kaukasus zu
fahren. Dazu wurde ich natürlich von ihnen beraten. Sie redeten mir
alle meine Alternativen bergab aus. Also weiter stetig die gute
Straße nach Tschchorozku (ჩხოროწყუ) bergan.
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Mein Weg unter Polizeiobhut |
Die
dritte Crew ließ mich dann an einer längeren Leine. Mir viel aber
auf, dass die Burschen gute Plätze mit Schatten kannten. Da standen
sie wieder an so einem schönen Platz, den ich auch für ein Päuschen
ansteuerte. Sie überzeugten mich unter Mithilfe von einigen
Einheimischen (Zeitgenossen des
Sieges
von Dynamo Tiblissi über den FC Carl Zeiss Jena 1981 in Düsseldorf),
mein Rad auf den Pickup zu schmeißen. Sie brachten mich ca. 5 km
wohl an den Rand des Grenzgebiets und meinten, nun gehe nur noch
bergab.
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Hier haben sie mich entlassen |
Nun bin ich in Tschchorozku und im Zweifel, ob eine Tour
durch das georgische Hinterland klug ist. Das ist eine Kleinstadt mit
diversen Zeugnissen einer sozialistischen Entwicklung. Das einzigste
Restaurant, was seit der sozialistischen Entwicklung durchgehalten
hat, bietet sieben kleine Buchten mit jeweils einem 4-Personentisch.
Das Bier holt man sich in einem gefrosteten Glas an der Theke aus
einer schlecht gewarteten Bierleitung. Eine Kneipe zum Draußen
sitzen habe ich nicht gefunden. Das wird schwer werden für die
nächsten Tage.
8.7.2016 Regentag zwischen Tschchorozku und Senaki
Erst gegen 10 Uhr war es möglich zu starten, es
draschte schon seit der Nacht. Das Wetterbild ließ aber nicht auf
Besserung hoffen, es wird weiter ordentliche Schauer geben.
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Die Königinnen der Landstraßen in Georgien |
Die frei
im Wege herum stehenden Rindviecher haben eine ähnliche
Wetteranschauung wie der Radler. Bei Sonne soll es Schatten sein, bei
Regen ein Unterstand. Sehr nahe liegend für Rind und Radler sind die
zahlreich errichteten Buswartehäuschen.
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Bereits besetzt |
Wenn die Häuschen nicht mit
einem funktionierenden Pfortensystem versehen sind, sind sie für den
Radler als Unterstand nicht zu gebrauchen - voll geschissen. Oben in
den Bergen sahen manche Häuschen bereits aus wie der sagenhafte
Augias-Stall. Für den mehrstündigen Regen um Mittag herum fand ich
ein Häuschen mit perfekter Pforte, sauber und trocken.
Gerade
geht wieder ein subtropischer Wolkenbruch mit Blitz, Donner und
Stromausfall über Senaki (
სენაკი)
nieder, jetzt muss ich meinen Unterstand nicht mit anderen Ochsen
teilen, ich bin im Hotel “Versailles”.