Samstag, April 20, 2019

In Kardshali

Der Tag in Ardino begann endlich bulgarisch korrekt: Kaffee, Banitsa und Ayran, eine Art Buttermilch. Das ist die Stärkung für die letzten Berge an der tausend Meter Grenze auf dem Weg nach Kardshali. Die Steigung beginnt sofort an der Hauptkreuzung von Ardino. Es ist heute wieder kalt und nass. Oben am Pass im Gebiet des touristischen Komplexes “An den Weißen Birken” komme ich in einen heftigen Graupelschauer. 
bei Kobiliane
Bald ist Volksfest in Kobilane: Ringen und Grill
Endlich startet die lange Abfahrt durch etliche türkische Dörfer. Die Logistik in solchen Dörfern ist meist entwicklungsfähig. In Kobiliane hat Einer in ein Handelszentrum mit Lebensmittel- und Baumarkt investiert. Nach meinem Eindruck ist er gerade in seiner ersten Renovierungsphase nach der Eröffnung vor fünf Jahren. Die Gäste des kleinen Bistros sind seine Bauleute und vorlaute Pensionäre. Am Tisch klingelt einer der Bauleute mit dem Vielfachmesser die Spannungszuleitungen und den Schalter zu einem BOSCH-Hammer aus. Die Anteilnahme seiner Kollegen am Reparaturfortschritt lassen darauf schließen, dass der Zustand dieses Werkzeugs ihre Pause verlängern wird. Dazwischen wuselt ein dünner Junge im Hoody und Basecap als Bedienung rum. Meine Frage nach etwas zu Essen nimmt er begeistert auf, holt einen Elektrogrill raus (der funktioniert) und es gibt die besten Kjöfte der Tour. 
Im nächsten Dorf spreche ich mit einem alten Kommunisten. Er erzählt von seiner Reise zu Ostzeiten nach Berlin, Potsdam und Leipzig mit dem Besuch der Georgi-Dimitroff-Gedenkstätte. Er freut sich, dass ich istotschni bin, einer aus dem Osten Deutschlands. Für die nächsten vier Nächte habe ich mich in eine Gartenhütte eingemietet.
Bei der Höhle Utrobata - dem Genital der Mutter Erde, ein thrakisches Heiligtum
Karfreitag: Fahrt zur Utrobata, zum Genital der Mutter Erde. Früh entdecke ich eine SMS von den Rudolstädtern, sie haben an der Höhle Utrobata genächtigt. Ich bin auch gerade auf dem Weg dahin. Ich habe mich ja so was von getäuscht, es ist keine Uferstraße entlang des Arda-Stausees, es geht mächtig hoch in die Berge. Unten in der Stadt hängen an meiner Banitsa-Frühstücks-Bäckerei Ausschreibungen für Stellen und Lehrausbildungen im Gastronomiegewerbe. Einigen der Baustellen zu einem großen Stadtpark mit noblen Wohnungsquartieren durch die Gebrüder Koch aus den USA scheint es an Bauleuten zu mangeln. Weiter oben in den Dörfern leistet sich ein Holzhändler viele billige Hände, um Holzstämme von einem alten SIL-Laster auf einen großen Sattelschlepper umzuladen. Der SIL-Laster rangiert gerade wacklig neben den Auflieger des Mercedes-Trucks. Die Holzstämme liegen ungesichert auf der platten Pritsche des SIL und werden nun durch die Hände von sechs Männern auf die platte Pritsche des Trucks umgeladen. Utensilien zur Ladungssicherung des Holzes sind weit und breit nicht zu sehen. Je billiger die Arbeitskräfte sind, desto geringer wird der Anreiz sein, die Produktivität zu erhöhen - ein Teufelskreis. 
Rufe des Muezzin hallen durch das Tal der Arda
Die Rufe des Muezzin hallen durch das felsige Tal der Arda. Ich treffe mich zum Mittagessen am wunderbar gelegenen Hotel Borovetsa mit Anne und Detlef ganz in der Nähe der Höhle. Detlef darf ja fahren, aber Anne und ich beschließen das Mahl mit einem goldenen Rakija grosdova aus dem Hause Karnobats. Mir schwant schon, die Höhle werde ich wohl nicht erreichen. Ich stelle mein Rad unten ab, stecke Geld und Dokumente in die Hosentaschen und beginne auf einem Pfad den Aufstieg. 
Am Fußweg zur Höhle
Als es wieder steiler wird, fällt mir ein, dass alle Schlüssel noch in der Lenkertasche sind. Ich habe einen triftigen Grund, den Aufstieg nach ca. einem Drittel des 4km-Aufstiegs abzubrechen. Abends rauscht durch Kardshali ein mächtiger Sturm, die abgerissenen Wellblechdächer aus meiner Gartensiedlung fliegen durch die Gegend. Beinahe kriege ich von so einem Ding eine neue Frisur.
Heute gönne ich mir einen Ruhetag in der Stadt: Diesen Text schreiben, baklava kosten, den frisch gekauften “Guide to Thracian Bulgaria” zu studieren ...

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